Ein kurzes Leben, ein bedeutendes Werk und eine große Frau Florbela Espanca, die “Heideblume”

 

Florbela  Espanca (1894 – 1930) geschieden, Dichterin, die Frau, die imstande war, Hosen zu tragen in einer Zeit, in der dies undenkbar war, die am 8. Dezember 1930 um zwei Uhr morgens in ihrem Hause in Matosinhos ihrem Leben ein Ende setzte, an dem Tag, am dem sie 36 Jahre alt wurde. Die wahrscheinlichste Version ist, sie habe eine Überdosis Schlafmittel genommen (zwei Fläschchen Veronal auf einmal).  Sie konnte nur noch mit Veronal schlafen. Doch bereits vor ihrer Geburt war das Leben von Florbela Espanca vom Unerwarteten, Dramatischen, Ungewöhnlichen gekennzeichnet. Ihr Leben war ihr Werk.

Als portugiesische Dichterin stark lyrischer Prägung wurde Florbela de Alma da Conceição Espanca am 8. Dezember 1894 in Vila Viçosa, im Alto Alentejo, in der “Mietwohnung” ihrer Mutter, Antónia da Conceição Lobo, einer Dienstmagd (wie man damals sagte), geboren. Der Vater, João Maria Espanca, war mit einer anderen Frau, einer Blondine namens Mariana do Carmo, verheiratet, die keine Kinder bekommen konnte. Also überzeugte er sie, nach einer uralten, mittelalterlichen Regel folgende häusliche Situation zu akzeptieren: danach hat der Mann, wenn eine Ehe kinderlos bleibt, das Recht, Kinder mit einer anderen Frau seiner Wahl zu haben: er würde also ein Kind außerhalb der Ehe mit einer Frau in bescheidenen Verhältnissen zeugen und das Ehepaar dann für das Kind sorgen. Er ging daher eine Verbindung mit der wunderschönen Antónia ein, aus der Florbela Espanca entsprang. Zwei Jahre danach kam João Espanca noch einmal darauf zurück (verzeihen Sie die Ausdrucksweise) und schlief mit Wissen seiner Ehefrau erneut mit Antónia, woraufhin ein Knabe geboren wurde, bei dem der Vater auf dem Namen Apeles Demóstenes Espanca bestand.

Eigenartigerweise scheint Florbela Espanca in ihrer Kindheit gefühlsmäßig nicht unter dieser familiären Unordnung gelitten zu haben. Sie wuchs “sorglos und glücklich” in der Heidelandschaft des Alentejo auf. 1908 zog sie mit der Familie nach Lissabon. Dort durchlief sie als erste Frau den Studiengang Recht an der Fakultät Lissabon, kam in Berührung mit anderen Dichtern ihrer Zeit sowie mit einer Gruppe schriftstellernder Frauen, die sich damals durchzusetzen versuchten. Sie arbeitete an Zeitungen und Zeitschriften wie “Portugal no Feminino” (Portugal aus weiblicher Sicht) mit und übersetzte verschiedene Romane, ohne dass sie es jemals geschafft hätte, von den literarischen Zirkeln respektiert zu werden und durch die hehre Pforte zu den Größen der Literatur einzutreten.

 

Liebe, Leid und Dichtung

Nachdem sich ihre natürliche Reinheit und Unschuld durch den Blick einer entschlossenen Frau gewandelt hatte, wurde Florbela zu einer Frau, die der Welt gegenübertreten wollte. Sie war eine Persönlichkeit voller Leben, deren erotische Spannung und Hunger nach idealer, vollkommener nie erfüllter Liebe aus allem hervor brachen, was sie schrieb, sie Neues schaffen ließ, indem sie sich ohne Scheu ihren Versen hingab. Sie heiratete dreimal: erst den Schulkameraden Alberto de Jesus Silva Moutinho, dann den Offizier der Republikanischen Nationalgarde GNR António Guimarães und schließlich den Arzt Mário Lage. Für ihre überbordenden Amouren und Leidenschaften schrieb sie eines ihrer schönsten Gedichte “Amar.  Eu quero amar, perdidamente!” (“Lieben. Ich will lieben, maßlos lieben!”). Obwohl sie ein stürmisches, unruhiges Leben voller Herzeleid führte, wusste die Autorin ihre Geschichte in Dichtkunst höchster Qualität zu gießen, beladen mit erotischen Anspielungen, weiblicher Sensibilität und pantheistischen Gedanken (die in allen Dingen etwas Göttliches sehen); sie schrieb dies in einer Zeit, in der nur einige – wenige – Frauen in Portugal zaghafte Schritte auf einem Weg machten, den man noch nicht einmal Emanzipation nennen kann, sondern eher die Aufwertung der Frau in der Gesellschaft. Sie schrieb auch Prosa, aber in der Poesie erreichte sie wahrlich Überragendes, einen Ehrenplatz in der portugiesischen, ja, in der europäischen Literatur.

Schließlich reiht sich Florbela auch in die Galerie derer ein, die durch ihre Tollkühnheit, durch ihren Pioniergeist berühmt wurden. Nicht nur, weil sie eine Frau war, die die Konventionen in Frage stellte, sondern weil diese Frau eine war, die von ganz unten kam. Sie kam weder aus der Aristokratie noch aus dem Großbürgertum. Der Vater hatte als Schuster angefangen wie der Großvater, war dann Antiquar geworden, handelte mit Leder, eröffnete ein Fotohaus und war außerdem ein unverbesserlicher Bohemien und Frauenheld.

In einer Zeit, in der Frauen fast keinen Zugang zu Bildung hatten, schloss sie das Gymnasium ab, kam auf die Hochschule und studierte Recht. Und ihr ganzes Leben lang forderte sie stets das Recht auf ihre Gefühle ein und auch das Recht, sie in Poesie und Prosa zu gießen.

Ihre erste Veröffentlichung war das Livro de Mágoas (Buch der Leiden) (1919), eine Sammlung von Sonetten aus dem dritten Jahr ihres Rechtsstudiums und einer Zeit, zu der sich einige Symptome seelischen Ungleichgewichts bemerkbar machten und in dem sie ungewollt eine Fehlgeburt erlitt. In den später veröffentlichten Werken, dem Livro de Soror Saudade (Buch der Schwester Sehnsucht) (1931) und Charneca em Flor (Blühende Heide) (1931), bestätigt die Dichterin ihre für die Epoche wagemutige Position. Sie schreibt vollkommene Sonette, drückt ihre Emotionen in wuchtiger Sprache und starken Bildern aus.

Ihre Poesie ist geprägt von der ständigen Wiederholung der Themen Leiden, Einsamkeit, Enttäuschung, immer verbunden mit unendlicher Zärtlichkeit und einem Wunsch nach Glück und Erfüllung, die nur im Absoluten, Unendlichen erreicht werden können.

Das leidenschaftliche Ungestüm der sehr persönlichen Ausdrucksweise, die um ihre eigenen Frustrationen und Sehnsüchte kreist, ist von oftmals erotischer Sinnlichkeit.

Gleichzeitig ist die Heidelandschaft des Alentejo in vielen ihrer Bilder und Gedichte präsent und lässt die aufgewühlte Seele der Dichterin auf die Natur überfließen.

 

Als die wichtigste weibliche Gestalt der portugiesischen Literatur und eine der ersten Feministinnen Portugals, hinterlässt Florbela Espanca Gedichte von übersteigerter Feinfühligkeit, voller erotischer Bekenntnisse, die widerstreitende Tendenzen und Gefühle durchscheinen lassen, aufflammen, als ob es sich um ein intimes Tagebuch handele. Sie tritt in die Fußstapfen der großen Dichter von Sonetten in der portugiesischen Literatur wie Camões, Bocage, Antero, obwohl sie in vielen Punkten anders ist als diese, vor allem, weil sie eine Frau ist und die Liebe nur anspricht; sie spricht nicht “über die Liebe” sondern “von der Liebe”, spontan, hemmungslos, wie Lebenssaft, der rein aus den Geheimnissen der Vorstellungskraft quillt, ohne die Zwänge der Mode oder literarischer Konventionen. Das veranlasste viele Kritiker, von ihrem Werk als dem eines weiblichen “Don Juan” zu sprechen, wegen der Sinnlichkeit, die keine Fessel kennt, bar aller falscher Moralvorstellungen ist und feurig, frei, Heuchelei und kleinbürgerliche Konventionen überwindet. Feinfühligkeit und Vorstellungskraft sind die Höhepunkte ihrer kreativen Augenblicke besten literarischen Ausdrucks, der keinen Moment lang zulässt, dass ihr Werk nur auf vertraulich geflüsterte, zweideutige Gefühle reduziert werden könnte, die aus weiblicher Scham geheim gehalten wurden.

Hier verschmilzt die Wahrheit eigener Erfahrung mit Phantasie, um Poesie erlesener Größe hervorzubringen wie keine andere Vertreterin des weiblichen Geschlechts dies in der portugiesischen Literatur getan hat.

Sie veröffentlichte auch Gedichte in verschiedenen Zeitschriften, vor allem in Modas e Bordados (Mode und Stickereien), eine Zeitschrift, die sich zu ihrer Zeit dem Titel zum Trotz auch für weibliche Prosa und Poesie interessierte.

Ihre zerbrochenen Ehen, ebenso wie die Liebesenttäuschungen im allgemeinen, besonders aber der Tod des Bruders Apeles Espanca (dem Florbela gefühlsmäßig stark verbunden war), der bei einem Flugzeugunglück ums Leben kam, als er 1927 über den Tejo flog, und dessen Leichnam nie gefunden wurde, prägten zutiefst ihr Leben und Werk. Ihr allzu frühes Ende war kein Hindernis für ein dichtes literarisches Werk. Ein großer Teil dieses Werkes sollte der Öffentlichkeit erst nach ihrem Tode bekannt werden.

Sie gilt heute als die große weibliche Gestalt der ersten Jahrzehnte der portugiesischen Literatur im XX. Jahrhundert.

“O mundo quer-me mal porque ninguém

Tem asas como eu tenho!”

(Die Welt liebt mich nicht, denn niemand

hat Flügel wie ich sie habe!)

 

Autor: Joaquim Peito

(Übersetzung aus dem Portugiesischen von Barbara Böer Alves)

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